Wissen macht Mut bei Lungenkrebs: Maria & Nils im Interview
Eine Lungenkrebsdiagnose bedeutet für viele Betroffene Unsicherheit, Fragen und Ängste. Im Interview teilen Maria und Nils ihre Erfahrungen, wie Wissen hilft, neue Orientierung nach der Diagnose zu finden – und wie Betroffene ihre Therapieentscheidung bewusst mitgestalten können.
Maria ist 35 Jahre alt, als sie 2019 erfährt, dass sie an ALK-positivem Lungenkrebs erkrankt ist. Drei Jahre später erhält auch Nils seine Diagnose, im Alter von 39 Jahren: Adenokarzinom, nicht-kleinzelliger Lungenkrebs, der bereits metastasiert ist. Seitdem engagieren sich die beiden, um über das Leben mit der Erkrankung aufzuklären. Links zu ihren Social-Media-Profilen findest du am Ende des Beitrags.
Lieber Nils, welche Gedanken haben dich beschäftigt, als du deine Lungenkrebsdiagnose erhalten hast?
Nils: Gleich zu Beginn der Diagnose, muss ich sagen, war das ein Albtraum. Denn ich war jung und – abgesehen von den Symptomen – eigentlich auch in einem sehr guten Fitnesszustand, als ich ins Krankenhaus gekommen bin. Erst ein paar Tage später kam dann die Gewissheit. Da hat man mir verkündet, was es war: Krebs im Endstadium. Das war für mich einfach desaströs.

Nils' Diagnose
Welche Symptome zur Lungenkrebsdiagnose geführt haben und was eine Tumortestung für Nils bedeutet, liest du hier >>>
Nils: Ab dem ersten Tag meiner Diagnose hat es sich für mich angefühlt wie auf einer Waage: “50 zu 50” zwischen Verzweiflung und kompletter Selbstaufgabe auf der einen Seite – und Kampfgeist auf der anderen. Ich habe schnell angefangen, den Kampf wirklich anzunehmen und mir eine Zweitmeinung eingeholt. Da wurden mir dann die Optionen A, B, C vorgestellt, was mir natürlich Mut gemacht hat, dass es weitergeht – im Gegensatz zur ersten Prognose, die mir im vorigen Krankenhaus gestellt worden war.
Liebe Maria, was ist dir durch den Kopf gegangen, als deine Lungenkrebsdiagnose feststand?
Maria: Ich konnte das am Anfang überhaupt nicht glauben. Ich dachte erst, vielleicht hat sich der Arzt geirrt. Am Tag zuvor hatte er gesagt, es sehe aus wie eine Lungenentzündung und wäre in dem Fall nichts Schlimmes. Er hat mir Hoffnung gemacht, dass das die Erklärung für meine monatelangen Rückenschmerzen, den starken, hartnäckigen Husten und die Atemschwierigkeiten sein könnte. Dann wurde eine Computertomographie durchgeführt, bei der der Krebs direkt sichtbar war. Das war ein Schock.
Daraufhin habe ich recherchiert, welche Therapieoptionen es gibt, was der Tyrosinkinase-Inhibitor, den ich seitdem erhalte, überhaupt ist und wie er wirkt. Ich habe mich also mit dem Medikament stark auseinandergesetzt und immer gehofft, dass es bei mir lange wirkt. Diese Hoffnung ist es, die mich seitdem trägt
Krebs ist nicht automatisch ein Todesurteil. Inwieweit war euch das zu Beginn eurer Lungenkrebsdiagnosen bewusst?
Maria: Ich habe zu Beginn gar nicht über das langfristige Weiterleben nachgedacht, sondern mich erst einmal auf konkrete Meilensteine fokussiert. Das war zum Beispiel der Schulanfang meiner Tochter, der nächste Geburtstag und andere, auch kleinere Momente des Familienlebens. Die haben wir dann gemeinsam umso stärker gefeiert.
„Dass mein Leben schnell zu Ende gehen könnte, war für mich in meinem Alltag nie wirklich präsent – weil meine zielgerichtete Therapie so gut wirkt!“
Maria, Lungenkrebsbetroffene
Nils: Dass die erste Klinik mir damals eine so kurze Lebenszeitprognose gestellt hat, hat eine Spur bei mir hinterlassen, die nach wie vor noch anhält. Ich glaube, hätte man mir am Anfang gesagt, dass es möglich ist, mit meiner Lungenkrebserkrankung noch sieben oder fünfzehn Jahre weiterleben zu können, dann wäre das ganz anders. Aber diese erste Prognose hat in mir ausgelöst, dass ich nun jeden Tag so gut wie möglich nutze. Dennoch weiß ich heute, dass ich Optionen habe – selbst wenn meine aktuelle Therapie vielleicht einmal nicht mehr wirken sollte.
Wie geht ihr mit Prognosen zur individuell verbleibenden Lebenszeit um?
Maria: Zu Beginn der Diagnose hat mein Arzt zu mir gesagt, mit der Therapie könne ich noch etwa drei Jahre leben. Ein anderer hat von zehn Jahren gesprochen. Diese Zahlen bleiben einem zwar im Kopf und haben auch Auswirkungen. Aber ich beziehe solche Prognosen rein gar nicht auf mich selbst. Denn meine Therapie, die ich aktuell erhalte, wirkt bei mir. Außerdem weiß ich: Es gibt auch danach noch weitere Behandlungsmöglichkeiten – und es werden immer neue Medikamente entwickelt.
Erfahrungen anderer Betroffener, die seit fast zehn Jahren mit ihrer Lungenkrebsdiagnose leben, geben mir Mut. Daran orientiere ich mich lieber als an Überlebensstatistiken – vor allem weil jede Krebserkrankung, auch wenn sie das gleiche Organ betrifft wie bei anderen Menschen, individuell ist.
Nils: Prognosen sagen Wahrscheinlichkeiten voraus, aber es kann individuell ganz anders aussehen. Wenn ein Rezidiv auftritt, muss mit einer erneuten Biopsie herausgefunden werden, was den Tumor dazu gebracht hat, wieder zu wachsen – also welche Treibermutation möglicherweise vorliegt. Und die Ergebnisse der Untersuchung können die nächsten Optionen aufzeigen. Für mich macht es mehr Mut, keine Prognose zu haben und lieber von Therapie zu Therapie zu schauen.

Neue Chancen
Welche Optionen habe ich, wenn meine Krebstherapie nicht mehr wirkt? Maria und Nils berichten >>>
Nils: Ich kann mir natürlich Statistiken anschauen, wie die jeweilige Krebstherapie bei einer bestimmten Mutation wirkt. Aber solche Daten umfassen oft Kriterien, die auf mich vielleicht gar nicht zutreffen, zum Beispiel in Bezug auf das durchschnittliche Alter bei der Diagnose. Es gibt so viele individuelle Faktoren, dass es oft kaum möglich ist, eine genaue Prognose zu treffen. Deswegen richte ich mich persönlich nicht danach.

Wann kann Tumortestung sinnvoll sein? Das und mehr liest du in unserer Kompaktwissen-Broschüre >>>>
Welche Bedeutung hat eine genetische Tumoranalyse eurer Erfahrungen nach?
Maria: Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. Jede Erkrankung ist anders. Deshalb ist es besonders wichtig, eine Tumortestung von Anfang an durchzuführen und als Betroffene auch aktiv beim Behandlungsteam nachzufragen, ob eine solche Analyse veranlasst wurde. Wenn es zu einem Progress kommen sollte, finde ich es wichtig, so eine Testung nochmal vorzunehmen – und zu hinterfragen: Bin ich im richtigen Behandlungszentrum, wo nach aktuellen Standards getestet wird.
„Eine Tumortestung nach aktuellen Standards ist das Allerwichtigste! Denn von den Ergebnissen hängt die richtige Therapie ab.“
Maria, Lungenkrebsbetroffene

Es werden immer neue Veränderungen im Erbgut aufgedeckt und gezielt dagegen gerichtete Therapien entwickelt. Mehr Infos >>>
Nils: Für mich gilt auch: Molekulare Testung „auf die Eins“. Dabei finde ich entscheidend, zum Beispiel nicht nur drei verschiedene Biomarker oder Treibermutationen zu wählen, auf die getestet wird, sondern alle derzeit bekannten, nach aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft. Das ist nicht unbedingt in jeder Klinik möglich. Dafür kann man sich an ein Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) wenden oder an Zentren vom Nationalen Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM).

„Comprehensive Genomic Profiling“
Mehr über die umfassende genetische Tumoranalyse >>>
Für viele Menschen gehören zum Leben mit Krebs auch Phasen, in denen es ihnen mental schlecht geht. Wie befreit ihr euch persönlich wieder davon?
Maria: Ich weiß einfach, dass es diese schlechten Tage gibt – aber auch, dass noch gute kommen werden. Und beide dürfen dazugehören. Man kann nicht immer nur positiv denken. Aber - so schwer das auch ist- sollte man versuchen, die eigenen Gedanken auszubalancieren.
Die Familie ist natürlich eine große Unterstützung, aber auch die kann nicht immer alles abfangen. Die Familienmitglieder brauchen selbst Halt! Dabei helfen vielleicht Psychoonkologen oder andere betroffene Menschen, mit denen man sich regelmäßig austauscht. Gerade über eine lange Erkrankungsphase hinweg kann das hilfreich sein.
Nils: Wenn du erfährst, dass du mit 40 vielleicht sterben wirst, während andere Menschen 80 Jahre alt werden, geht das nicht spurlos an dir vorbei! Entscheidend ist, zu verstehen: Ich bin der Situation nicht einfach ausgeliefert.
Mir hat es sehr geholfen zu wissen, dass ich meine Erkrankung selbst manage. Ich sitze am Steuer. Ich weiß genau, warum ich eine bestimmte Krebstherapie gewählt habe. Diese Position einzunehmen, bestärkt mich sehr.
Dafür ist entscheidend, seine „Hausaufgaben“ zu machen. Ich würde auf jeden Fall die Zeit nutzen, nachzufragen: Wurde eine molekulare Testung des Tumormaterials durchgeführt? Sind alle diagnostischen Verfahren ausgeschöpft? Sind die Grundlagen erfüllt, um gemeinsam mit dem Behandlungsteam die individuell beste Therapieentscheidung zu treffen?
„Ich finde wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man selbst sehr großen Einfluss nehmen kann – beispielsweise durch das Einholen einer Zweitmeinung oder durch die Wahl eines spezialisierten Behandlungszentrums. An dem Prozess aktiv teilzuhaben, ihn voranzutreiben und zu sehen, was ich für mich erreicht habe – das gibt mir unvergleichlichen Auftrieb.“
Nils, Lungenkrebsbetroffener
Mehr Infos über Marias Weg im Leben mit Krebs findest du auf ihrem Instagram-Kanal „jung.mutig.lungenkrebs“.
Nils‘ Engagement zur Unterstützung von Menschen mit Krebs kannst du in seinem Podcast „Krebs! Was nun?“ sowie auf dem zugehörigen Instagram-Kanal verfolgen.
Inhaltlich geprüft: M-DE-00028172


