Hirnmetastasen bei Lungen- und Brustkrebs
Wenn der Tumor ins Gehirn streut, sprechen Fachleute von Hirnmetastasen. Besonders häufig kommen diese bei bestimmten Arten von soliden Tumoren vor, z. B. Lungen- und Brustkrebs. Ein spezieller Schutzmechanismus unseres Gehirns erschwert die Behandlung von Hirnmetastasen: die Blut-Hirn-Schranke.
Grundsätzlich kann es bei jedem Tumor auch zu Absiedlungen im Gehirn kommen. Besonders häufig ist das jedoch bei Lungen- und Brustkrebs der Fall. So ist Lungenkrebs für 40 bis 60 Prozent und Brustkrebs für 15 bis 20 Prozent aller Hirnmetastasen verantwortlich.1 Warum das so ist, konnten Forschende noch nicht entschlüsseln. Was sie jedoch wissen, ist: Bestimmte Genmutationen, die zu einem aggressiven Tumorwachstum führen, erhöhen auch das Risiko für Hirnmetastasen.
So haben Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs, bei denen beispielsweise eine ALK- oder ROS1-Mutation vorliegt, eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Hirnmetastasen.2 Bei Brustkrebs konnten Forschende einen Zusammenhang zwischen bestimmten Eigenschaften des Primärtumors und Hirnmetastasen herstellen. Ist der ursprüngliche Tumor Hormonrezeptor-negativ, HER2-positiv oder triple-negativ (TNBC), steigt das Risiko für Hirnmetastasen.3
Generell sind Hirnmetastasen schwer zu behandeln. Aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln immer neue Krebsmedikamente, die den Schutzmechanismus des Gehirns überwinden und deshalb auch Hirnmetastasen effektiv behandeln können.
Zusammenfassung
Welche Anzeichen können auf Hirnmetastasen hinweisen?1,4
- Kopfschmerzen
- Neurologische Funktionsstörung, wie zum Beispiel eine Lähmung von Armen oder Beinen
- Kognitive Störung wie Erinnerungsstörungen, Stimmungsschwankungen oder Persönlichkeitsveränderungen
- Sprachstörungen
- Veränderungen beim Sehen, Riechen, Hören oder beim Tasten
- Krampfanfälle / epileptische Anfälle
- Schlaganfall
- Hirnorganisches Psychosyndrom
- Weitere Hirndruckzeichen wie Übelkeit und Erbrechen
- Müdigkeit bis hin zu Bewusstseinsstörungen
Zu Beginn verursachen Hirnmetastasen oft keine Symptome. Erst wenn sie größer werden oder in empfindlichen Hirnregionen auftreten, lösen sie Beschwerden aus.
Weitere Informationen erfährst du im Podcast „Auf ein K Wort“ zum Thema Hirnmetastasen mit Prof. Dr. Dieter Ukena.
Blut-Hirn-Schranke: Barriere für Krebsmedikamente
In unserem Körper finden ständig verschiedene Austauschprozesse statt. Dabei spielt das Blut eine entscheidende Rolle. Es transportiert verschiedene Moleküle zu den Organen oder von dort ab. Dieser Austausch wird überall gut kontrolliert – besonders sorgfältig für das zentrale Nervensystem (ZNS), also das Gehirn und das Rückenmark. Denn das ZNS reagiert auf viele Moleküle sehr empfindlich. Dazu gibt es zwei Sicherheitsbarrieren. Die erste Barriere ist eine dicht gepackte Zellschicht, die sogenannte Blut-Hirn-Schranke (BHS). Die zweite Kontrollinstanz ist ein aktiver Rücktransport. Sie schützen das ZNS vor Krankheitserregern oder schädlichen Substanzen und kontrollieren, welche Stoffe aus dem Blut ins Gehirn gelangen und welche nicht.
Obwohl diese beiden Sicherheitsbarrieren für unseren Körper lebenswichtig sind, erschweren sie die effektive Behandlung von Gehirnerkrankungen, wie z. B. Hirntumoren bzw. Hirnmetastasen. Denn während die meisten Medikamente – auch Krebsmedikamente – die BHS absichtlich nicht passieren sollen, ist es bei der Behandlung von Hirnmetastasen unerlässlich, dass sie diese natürliche Barriere überwinden können.
Eigenschaften wie die Größe, Ladung oder Löslichkeit von Molekülen können Einfluss darauf haben, ob und wie leicht sie die Barrieren überwinden.1,2
Forschende gehen davon aus, dass die BHS als physiologische Barriere ab einer Hirnmetastasen-Größe von 1 bis 2 Millimetern nicht mehr intakt ist.3 Dann ist es möglich, dass auch größere Moleküle eingesetzter Medikamente die BHS passieren. Wie lange sie dort verbleiben und ihre Wirkung entfalten können, bevor sie wieder abtransportiert werden, ist abhängig von sogenannten Transportproteinen oder Exportproteinen, die die Aufnahme in Zellen oder die Ausscheidung beeinflussen.4
So wirken viele Krebsmedikamente nicht gegen Hirnmetastasen (klassische Chemotherapien oder auch einige zielgerichtete Therapien) oder nur zeitlich begrenzt (Immuntherapien), weil sie entweder die BHS gar nicht erst passieren können oder schnell wieder von Exportproteinen entfernt werden.5
Intensive Forschung zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
Therapien, die diese Barrieren überwinden und im ZNS ihre Wirkung entfalten können, werden intensiv erforscht. Bereits heute gibt es Wirkstoffe, mit denen einerseits der Primärtumor gut behandelt werden kann, die aber andererseits auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und effektiv gegen Metastasen im Zentralen Nervensystem wirken können. Dank der Fortschritte in der Entwicklung von zielgerichteten Therapien ist es mittlerweile auch möglich, Hirnmetastasen medikamentös zu behandeln und nicht nur per Operation oder Bestrahlung. Zielgerichtete Therapien, Immuntherapien und Antihormontherapien konnten in Studien das Überleben von bestimmten Patientengruppen deutlich verlängern.1 Zudem forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler intensiv an der Entwicklung neuer Krebsmedikamente, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden können.1 Und bereits heute gibt es Wirkstoffe, die z. B. effektiv Lungenkrebs und gleichzeitig Hirnmetastasen behandeln können.2 Weitere Mechanismen zur Überwindung der BHS sind in der Erforschung, beispielsweise das Verpacken von Wirkstoffen in sogenannten Nanopartikeln.3
Mehr zur BHS und der Therapie von Hirnmetastasen am Beispiel von Lungenkrebs erfährst du in diesem Video:
Inhaltlich geprüft: M-DE-00020468
Quellen
¹ https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/hirntumor/hirnmetastasen.html, zuletzt abgerufen am 15.01.2024.
² Remon J, Besse B. Brain Metastases in Oncogene-Addicted Non-Small Cell Lung Cancer Patients: Incidence and Treatment. Front Oncol. 2018;8:88. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29696132/
³ Witzel I, Oliveira-Ferrer L, Pantel K, Müller V, Wikman H. Breast cancer brain metastases: biology and new clinical perspectives. Breast Cancer Res. 2016 Jan 19;18(1):8. doi: 10.1186/s13058-015-0665-1. PMID: 26781299; PMCID: PMC4717619. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26781299/
⁴ https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/metastasen/hirnmetastasen.php, zuletzt abgerufen am 15.01.2024.
⁵ Gabathuler R. Approaches to transport therapeutic drugs across the blood-brain barrier to treat brain diseases. Neurobiol Dis. 2010 Jan;37(1):48-57. doi: 10.1016/j.nbd.2009.07.028. Epub 2009 Aug 5. PMID: 19664710. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19664710/
⁶ van de Waterbeemd H et al. Estimation of blood-brain barrier crossing of drugs using molecular size and shape, and H-bonding descriptors. J Drug Target. 1998;6(2):151-65. doi: 10.3109/10611869808997889. PMID: 9886238. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9886238/
⁷ Fokas E, Steinbach JP, Rödel C. Biology of brain metastases and novel targeted therapies: time to translate the research. Biochim Biophys Acta. 2013 Jan;1835(1):61-75. doi: 10.1016/j.bbcan.2012.10.005. Epub 2012 Nov 7. PMID: 23142311. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23142311/
⁸ www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-16-2015/arzneimittel-und-transportproteine, zuletzt abgerufen am 15.01.2024.
⁹ www.aerzteblatt.de/archiv/208169/Tumortherapie-Damoklesschwert-Hirnmetastase, , zuletzt abgerufen am 15.01.2024.
¹⁰ Misra A, Ganesh S, Shahiwala A, Shah SP. Drug delivery to the central nervous system: a review. J Pharm Pharm Sci. 2003;6(2):252-273. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12935438/
¹¹ Kodama T, Hasegawa M, Takanashi K, Sakurai Y, Kondoh O, Sakamoto H. Antitumor activity of the selective ALK inhibitor alectinib in models of intracranial metastases. Cancer Chemother Pharmacol. 2014;74(5):1023-1028. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25205428/
¹² www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-282018/wie-arzneistoffe-die-barriere-ueberwinden/, zuletzt abgerufen am 15.01.2024.