„Für mich ist Selbsthilfe, Informationen zu transportieren“
Als Barbara Baysal an Lungenkrebs erkrankt, fühlt sie sich allein. Sie will anderen treffen, die mit der Erkrankung leben – und gründet in Berlin eine Selbsthilfegruppe. Heute ist sie bundesweit aktiv. Ein Interview.
Barbara Baysal erkrankt 2001 an Lungenkrebs – ein sehr unwirklicher Moment. Denn vor der Operation waren die Ärzte davon ausgegangen, dass das, was da in der Lunge ist, eine verkapselte Entzündung ist. Nach dem Aufwachen dann der Schock: „Es war, als hätte mich ein Panzer überfahren“, erinnert sich Barbara Baysal. Hinzu kommen körperliche Beschwerden, die einfach nicht weggehen: „Ich hatte Nervenstörungen, konnte meinen Arm nicht hochstrecken. Die Brust war so taub, ich hätte nicht gemerkt, wenn mir jemand einen Nagel da reingeschlagen hätte.“
2002 dann der Entschluss selbst aktiv zu werden. Babara Baysal stellt über ein Selbsthilfekontaktbüro eine Anfrage ins Internet. Im März / April 2003 entsteht in Berlin die erste Selbsthilfegruppe für Lungenkrebspatienten.
Was genau war deine Motivation, die Gruppe mitzugründen?
Ich wollte andere treffen, die mit der Erkrankung leben, weil ich in der Klinik und in der Reha niemanden mit Lungenkrebs getroffen hatte. Und ich wollte wissen, ob die Schmerzen, die ich immer noch hatte – ob die normal sind oder ob ich mich einfach nicht genug angestrengt habe.
Wie hat sich die Selbsthilfe Lungenkrebs dann weiterentwickelt?
Bis 2006/2007 gab es deutschlandweit nur in Berlin und Hamburg Selbsthilfegruppen für Lungenkrebspatienten.
Barbara Baysal
„Wir sprechen nicht nur über die Erkrankung, sondern auch über das normale Leben.“
Unsere Berliner Gruppe hatte aber eine Internetseite und eine öffentliche Telefonnummer – und war damit für alle erreichbar. Ich habe mich dann aufgemacht, überall in Deutschland die Gründung von Selbsthilfegruppen anzustoßen. Mit ein bisschen Unterstützung hat das auch gut geklappt. Zeitweise gab es über 60 Gruppen. Mittlerweile sind es leider nur noch knapp 35, weil wir einfach nicht genügend Ansprechpartner finden
Mit wie vielen Leuten habt ihr angefangen?
Am Anfang war ich schon ziemlich allein. Ich hatte hier in Berlin eine Unterstützung für die Gruppe. Den Rest habe ich allein gemacht – und das Telefon hat wirklich permanent geklingelt.
Unter Selbsthilfe stellen sich viele Menschen immer noch vor, dass man im Kreis sitzt und von sich erzählt. Stimmt das?
Einmal ist Selbsthilfe natürlich die Gesprächsrunde, in die sich jeder so einbringen kann, wie er möchte. Man kann erzählen, man kann Fragen stellen, man kann einfach nur zuhören. Und wir sprechen nicht nur über die Erkrankung, sondern auch über das normale Leben. Es ist so extrem wichtig, sich über alles Mögliche auszutauschen – egal, ob es das Essen, das Wetter oder die Reise oder was auch immer ist. Man redet also nicht nur über Tod und Sterben und Krebs, sondern eben auch über alles, was darum herum ist. Das ist einfach wichtig: Zu sehen, dass man damit leben kann – und teilweise auch sehr gut leben kann!

Sind auch Angehörige bei den Treffen dabei?
Ja, und das ist extrem wichtig. Denn Angehörige sind auch Betroffene – auf eine andere Art. Sie haben auch Ängste, vor allem Verlustängste. Und viele packen den Erkrankten in Watte: Er kann nicht, er darf nicht – und nehmen ihm so ein Stück Leben aus der Hand. Das ist aber oft der falsche Weg. Bei den Treffen zeigen wir, wie wichtig es ist, offen miteinander umzugehen und gegenseitig Wünsche und Ängste zu äußern. Wir versuchen deutlich zu machen, dass man den Erkrankten ganz normal behandeln kann, so wie vorher auch. Er steht weiterhin mitten im Leben – und aus dem soll man ihn nicht rausnehmen.
Was bedeutet Selbsthilfe sonst noch für dich?
Für mich ist Selbsthilfe, Informationen nach außen zu transportieren. Und Lungenkrebs öffentlich zu machen – auf Kongressen, mit Info-Ständen, mit Info-Materialien. Aber auch am Telefon zur Verfügung zu stehen, zu gucken, wo Unterstützung gebraucht wird.
Wie ist denn das Feedback für dein Engagement, welche Rückmeldungen erhältst du?
Sehr gute! Ich habe 2017 das Bundesverdienstkreuz bekommen. Ich denke zwar immer noch, dass ich das so nicht verdient habe, aber irgendwie mache ich wohl doch etwas richtig.

Und von anderen Betroffenen oder Angehörigen?
Wenn Menschen zu mir am Telefon sagen: „Schön, dass Sie mir zugehört haben. Darf ich Sie wieder anrufen?“, und sie sich dann auch immer mal wieder melden, ist das für mich ein extremes Lob. Und gleichzeitig weiß ich dann auch, dass das, was ich tue, richtig ist.
Wie ist es für dich, immer und immer wieder mit Krebs konfrontiert zu sein? Wie gehst du damit um, wenn zum Beispiel jemand aus der Gruppe oder dem Netzwerk stirbt?
Wenn jemand stirbt, kommt es immer darauf an, wie nah mir diese Person ist. Bei manchen hat man das Gefühl, die kennt man seit 100 Jahren, das ist dann wie Familie. Das ist natürlich besonders schlimm. Wir haben in der Gruppe ein Ritual entwickelt, um besser damit umgehen zu können. Es ist immer wieder schmerzlich, wenn jemand den Kampf gegen den Krebs verloren hat. Aber gleichzeitig bin ich dankbar dafür, dass er mich an seinem Leben hat teilnehmen lassen, dass er mir seine Geschichte erzählt hat und dass wir zusammen eine gute Zeit hatten.

Gönnst du dir denn auch mal eine Auszeit?
Ich versuche es! Vor allem von meinem eigenen Krebs. Den habe ich sehr weit nach hinten geschoben. Er ist im Kopf zwar immer noch da, aber er ist nicht mehr so präsent.
Was hilft dir dabei?
Durch die Erfahrungen und die vielen Gespräche, habe ich einen anderen Zugang. Ich weiß viel mehr als damals. Die Erkrankung macht mir nicht mehr diese extreme Angst. Und gleichzeitig sehe ich durch die Konferenzen und Infoveranstaltungen, welche Möglichkeiten es gibt. Da haben sich die Überlebens- oder Lebenschancen auf ein längeres, gutes oder schmerzfreies Leben enorm verbessert. Und irgendwann sind wir ja vielleicht auch soweit, dass der Krebs zwar da ist, er aber eine chronische Erkrankung ist, man also mit ihr leben kann.
Gibt es etwas, das du allen Krebspatienten mit auf den Weg geben möchtest?
Offen zu sein! Es ist wichtig, darüber zu sprechen und sich nicht schuldig zu fühlen. Denn niemand trägt Schuld für seine Erkrankung. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, sondern nur die Zukunft. Dazu gehört auch, die Hoffnung niemals aufzugeben. Es gibt inzwischen viele Möglichkeiten. Man sollte sich informieren, nachfragen – und zwar so lange, bis man es verstanden hat. Es lohnt sich, im Gespräch zu bleiben und sich zu informieren!
Mehr über die Selbsthilfe Lungenkrebs findest du auf der Seite des Bundesverbands Selbsthilfe Lungenkrebs e.V.
Inhaltlich geprüft: M-DE-00013061