Leben mit Krebs = Leben mit Handicap?
Krebs ist eine Erkrankung. Aber ist Krebs auch eine Behinderung? Wenn ja – was bedeutet das für dein Leben? Wann hast du Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis und welche Vorteile kann dieser mit sich bringen?
Ich habe Krebs. Aber bin ich damit auch behindert? Bei dem Wort „Behinderung“ denken die meisten von uns an einen Menschen im Rollstuhl, mit Blindenstock oder Prothese. Aber nicht jede Behinderung ist sichtbar. Und dennoch kann sie die Betroffenen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen. Auch Krebs gehört zu den Erkrankungen, deren physische und psychische Folgen den Alltag stark beeinträchtigen und deshalb vorübergehend oder dauerhaft zu einer Behinderung führen können.
Dinge, die dich als Krebspatientin oder Krebspatienten behindern können, gibt es überall: die Treppe, die du nur mit größter Anstrengung bewältigst. Der Arbeitsplatz, der nicht mehr zu dir passt. Eine Reha, die nicht genehmigt wird. Doch ab wann welcher Grad der Behinderung vorliegt und du einen Anspruch auf einen entsprechenden Ausweis hast, definiert der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch IX so: „…wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist.”1 Ob mit Krebs nach dem Gesetz eine Behinderung vorliegt, hängt also auch davon ab, wie stark die Erkrankung dich im Alltag beeinträchtigt.
Unsichtbar, aber da
Bei Menschen mit Krebs sind krankheitsbedingte Beeinträchtigungen oft nicht direkt sichtbar – sie sitzen nicht unbedingt im Rollstuhl oder benötigen eine Prothese. Zur Belastung werden die unsichtbaren Handicaps, die durch die Erkrankung selbst, durch eine OP oder Chemotherapie ausgelöst werden können. Dazu gehören unter anderem die krebsbedingte chronische Müdigkeit (Fatigue), chronische Schmerzen, Empfindungsstörungen, Seh- und Hörverluste oder eine eingeschränkte Beweglichkeit. Auch seelische Probleme – Existenzängste, Angst vor einem Rückfall oder Depressionen – sind nicht selten. Wird eine Krebserkrankung in einen chronischen Zustand überführt, weil sie zum Beispiel nicht mehr heilbar ist, kann sie ebenfalls als Behinderung anerkannt werden.2 Doch um welche Beeinträchtigung es sich auch handelt, eines haben alle gemeinsam: sie können dir das Leben schwer machen und dich von alltäglichen Erlebnissen ausschließen.
Mitten im Leben, trotz Handicap
Damit du mitten im Leben bleibst, setzen sich politische und soziale Institutionen seit Jahren für die Rechte von Krebsbetroffenen ein. Auch auf lokaler Ebene gibt es Initiativen, in Deutschland zum Beispiel die Sozialhelden. Sie sensibilisieren Institutionen und Unternehmen dafür, Menschen mit Behinderungen als eigenständige Zielgruppe wahrzunehmen. Denn viele private Bürogebäude, Dienstleistungen oder Freizeitangebote sind für Menschen mit Behinderung nach wie vor nur schwer zugänglich. Die Sozialhelden sensibilisieren die Gesellschaft auch für Krebspatientinnen und -patienten mit nicht sichtbaren, wie beispielsweise psychischen Einschränkungen.
Weniger Nachteile, mehr Teilhabe für Menschen mit Krebs
Das Recht auf Teilhabe endet aber nicht an der niedrigschwelligen Bushaltestelle oder am barrierefreien Büchereieingang. Menschen mit Behinderung erhalten vielfältige Vergünstigungen in Beruf und Alltag. Die sogenannten Nachteilsausgleiche sollen die gesellschaftliche Teilhabe sichern. Was genau dir dabei zusteht, hängt vom Grad der Behinderung (GdB) ab, den du auf Antrag feststellen lassen kannst.3
Dazu gehören zum Beispiel Steuererleichterungen, Vergünstigungen bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Einrichtungen oder verbesserte Bedingungen im Berufsleben wie ein besonderer Kündigungsschutz und zusätzliche Urlaubstage. Ausführliche Informationen zum Schwerbehindertenausweis findest du hier.
Einen Antrag zur Feststellung des GdB oder auf einen Schwerbehindertenausweis kannst du bei deinem Versorgungsamt oder der in deinem Bundesland zuständigen Behörde stellen. Kontaktdaten erhältst du beim Bürgeramt deiner Stadt.
Möglich sind Werte zwischen 20 und 100, ab einem Grad der Behinderung von 50 giltst du als schwerbehindert. Dann kannst du einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Der Zweck dieses Ausweises ist es, die durch Krebs verursachten Einschränkungen auszugleichen. Die Feststellung des Grades der Behinderung erfolgt je nach Krebsart und Schwere der Erkrankung.4
Menschen mit Krebs haben u. a. diese Vorteile von einem Schwerbehindertenstatus im Berufsleben:
- Jährlich fünf zusätzliche Urlaubstage5
- Erhöhter Kündigungsschutz
- Freistellung von Mehrarbeit (nicht mehr als acht Stunden Arbeit/Werktag)
- Begleitende Hilfe im Arbeitsleben (z. B. technische Arbeitshilfen oder Beratung bei Arbeitsplatzproblemen)
- Hilfe zur Erhaltung beziehungsweise Erlangung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes
- Bei Bedarf früherer Renteneintritt
Mögliche sonstige Nachteilsausgleiche:
- Steuerliche Vergünstigungen6,7
- Günstigerer Eintritt und Rabatte bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Bäder, Museen und anderen öffentlichen Einrichtungen
- Niedrigere Beiträge bei Automobilclubs
- Freibeträge beim Wohngeld – abhängig vom GdB
- Anspruch auf einen Euro-WC-Schlüssel
Praktische Helfer
Auch dein Smartphone kann bei einer Behinderung sehr hilfreich sein. Denn es gibt einige nützliche Apps, die dich im Alltag unterstützen. Zum Beispiel:
HandicapX führt dich zur nächsten barrierefreien Toilette.
VoiceOver (für Apple) oder Android Accessibility Suite (für Android) helfen dir, wenn du sehbehindert bist. Du kannst die Apps per Spracheingabe bedienen und dir Texte vorlesen lassen .
Verbavoice unterstützt dich, wenn du nicht mehr (gut) hören kannst. Die App übersetzt Sprache in Text oder Gebärdensprache.
- Wheelmap bietet die Möglichkeit, rollstuhlgerechte Orte zu suchen, zu finden und für andere User zu markieren.
- fuelService zeigt Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung an, an welchen Tankstellen sie Unterstützung beim Tanken erhalten können.
Ein nützlicher Helfer aus der analogen Welt ist der sogenannte Euro-WC-Schlüssel. Er gewährt dir Zugang zu vielen barrierefreien Toilettenanlagen in Innenstädten, öffentlichen Gebäuden, Freizeitanlagen, Raststätten und Tankstellen in ganz Europa. Du bekommst den Schlüssel für knapp 29 Euro beim Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt und Umgebung e. V. (CBF) oder bei einigen Selbsthilfeorganisationen Als Nachweis deiner Schwerbehinderung musst du eine Kopie deines Schwerbehindertenausweises einreichen.
Übersicht über die Nachteilsausgleiche nach dem Grad der Behinderung
Der Selbsthilfeverein setzt sich für die Rechte behinderter Menschen ein. Dort kannst du den Euro-WC-Schlüssel beantragen.
EnableMe – Die Plattform für alle Fragen rund um das Thema Behinderung und chronische Krankheit.
Inhaltlich geprüft: M-DE-00022755
Quellen
¹ https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbix/2.html, zuletzt abgerufen am 19.07.2024
² https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/behinderung-und-chronische-krankheiten/behinderung-und-chronische-krankheiten.html, zuletzt abgerufen am 19.07.2024
³ https://www.enableme.de/de/artikel/krebs-antrag-auf-schwerbehindertenausweis-2250, zuletzt abgerufen am 19.07.2024
⁴ https://www.betanet.de/grad-der-behinderung-tumorerkrankungen.html, zuletzt abgerufen am 19.07.2024
⁵ https://www.betanet.de/behinderung-berufsleben.html, zuletzt abgerufen am 19.07.2024
⁶ https://www.enableme.de/de/artikel/schwerbehindertenausweis-vorteile-rabatte-ermassigungen-2154, zuletzt abgerufen am 19.07.2024
⁷ https://www.enableme.de/de/artikel/euro-schlussel-fur-behindertengerechte-toiletten-2320, zuletzt abgerufen am 19.07.2024