100.000 Erkrankungen – und trotzdem eine seltene Krebsart
In Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Zu ihnen gehören auch die 100.000 Menschen, bei denen jährlich eine seltene Krebserkrankung festgestellt wird. Knochenkrebspatient Carsten Witte spricht über seine Erfahrungen.
Mit 24 Jahren erkrankte Carsten Witte 2011 an Knochenkrebs. Dieser zählt zu den sogenannten Sarkomen, also bösartigen Tumoren des Stütz- und Bindegewebes. Knochenkrebs macht nur etwa 1 Prozent aller bösartigen Tumorerkrankungen aus.3. Damit gehört Carstens Krankheit zu einer der insgesamt rund 180 seltenen Krebsarten.1,2
In Europa spricht man von einer seltenen Krebserkrankung, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen jährlich daran erkranken.2 Zu diesen Krebsformen gehören zum Beispiel Schilddrüsen- und Kehlkopfkrebs und auch Formen der Leukämie. Auch alle Kinderkrebserkrankungen zählen zu den seltenen Formen.
Da sie so selten sind, gibt es wenig Erfahrung bei der Diagnose und Behandlung dieser Erkrankungen. Das bedeutet für die Patienten, dass sie ein Stück weit auf sich allein gestellt sind. Carsten Witte sieht das als Herausforderung und Chance zugleich:
Carsten Witte
„Ich konnte für mich selbst entscheiden, welche Therapie ich wähle und damit ein Stück Verantwortung übernehmen.“
„Doch leicht war das nicht. Schließlich verändern diese Entscheidungen Dein Leben. Und das nicht nur für die Therapiezeit, sondern eben auch langfristig.“
Herausforderungen bei Diagnose und Behandlung
Auch Ärzte stehen bei einer seltenen Krebserkrankung vor besonderen Herausforderungen. Das fängt bei der Diagnose an. Nicht selten haben Betroffene schon eine lange Odyssee hinter sich, bis endlich feststeht, was hinter ihren Beschwerden steckt. Gerade das ist ein Grund dafür, warum seltene Krebserkrankungen so gefährlich sind: Sie werden erst spät erkannt und sind dann häufig schlechter zu behandeln.

Bei der Behandlung zeigen sich dann die nächsten Schwierigkeiten. Für die meisten seltenen Krebserkrankungen gibt es keine Leitlinien, also keine standardisierten Empfehlungen für die Therapie. Die Patienten und Ärzte sind deshalb selbst stark gefordert – so wie Carsten Witte, als er entscheiden musste, welche Behandlungsform für ihn die richtige ist:
Carsten Witte
„Ich hatte zwei Ärzte vor mir. Der eine sagte ‚Chemo‘, der andere ‚Keine Chemo‘. “
„Wenn Du dann erstens wegen des Schocks nicht wirklich klar denken kannst und zweitens die Fachliteratur nicht verstehst, dann stehst Du da und weißt nicht, was Du machen sollst. Trotzdem musst Du für Deine Entscheidung die Verantwortung übernehmen.“
Neue Wege gehen
Zu diesen Unsicherheiten kommt, dass für seltene Krebserkrankungen nur wenige Medikamente, sogenannte Orphan Drugs, zugelassen sind. Manchmal gibt es sogar gar keine speziellen Medikamente. Um eine möglichst geeignete Therapie zu finden, müssen Ärzte dann häufig auf Beschreibungen von einzelnen Krankheitsverläufen oder kleinere Studien zurückgreifen.
Unter Umständen kommt auch der Einsatz von Medikamenten, die eigentlich für andere Krebsarten zugelassen sind infrage. Über diesen sogenannten Off-Label-Use entscheidet der Arzt gemeinsam mit dem Patienten. Eine weitere Chance für Betroffene kann die Teilnahme an einer Studie sein.
Aber auch hier ist Selbstverantwortung gefragt: Man sollte seinen Arzt fragen, ob die Teilnahme an einer Studie möglich und sinnvoll ist. Wichtig ist auch, sich zu informieren, ob es spezialisierte Zentren für die jeweilige Krebsart gibt. Gerade wenn es sich um seltene Tumoren handelt, ist es entscheidend, ein Behandlungsteam zu haben, das sich genau mit diesen auskennt.
Zahlen, bitte
Anzahl der jährlichen Neuerkrankungen bei seltenen Krebsarten in Deutschland:
- Knochenkrebs 860*
- Morbus Hodgkin 2.490
- Kehlkopfkrebs 3.640
- Weichteilgewebekrebs** 4.240
- Speiseröhrenkrebs 7.280
- Schilddrüsenkrebs 7.780
- Leukämien 13.910
- Non-Hodgkin-Lymphom** 18.370
Zum Vergleich die Anzahl der jährlichen Neuerkrankungen bei den häufigsten Krebsarten in Deutschland:
- Brustkrebs 69.660
- Prostatakrebs 58.780
- Darmkrebs 58.290
- Lungenkrebs 57.460
* Deutschland, 2013, Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten | Epidemiologie von Krebserkrankungen
** ohne Mesotheliom
Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten, Krebs in Deutschland für 2015/2016
Die gemeinnützige Organisation engagiert sich für die Verbesserung der Situation für Sarkom-Patienten und bietet hilfreiche Informationen zu den verschiedenen Sarkomen.
Das Informationsportal verweist auf verschiedene Informationsanbieter.
Der Versorgungsatlas für Menschen mit seltenen Erkrankungen (se-atlas) gibt einen Überblick über Versorgungsmöglichkeiten und Selbsthilfeorganisationen.
Fachleute, Patienten, Angehörige und Interessierte finden hier Informationen zu seltenen Krankheiten. Internationale mehrsprachige Internet-Datenbank.
Bundesweite Anlaufstelle rund um das Thema Selbsthilfe. NAKOS bietet neben vielen Infos eine Datenbanksuche zu Ansprechpartnern oder Selbsthilfegruppen.
Dachverband von rund 1.500 Krebs-Selbsthilfegruppen
Portal für junge Selbsthilfe
Quellen
¹ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)
² https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/basis-informationen-krebs-allgemeine-informationen/seltene-krebsarten.html (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)
³ https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/andere-krebsarten/knochenkrebs/definition-und-haeufigkeit.html (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)
⁴ Deutsche Krebsgesellschaft | Seltene Krebsarten (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)
⁵ dkfz | Seltene Tumoren – Informationen und Ansprechpartner finden (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)
⁶ Die Welt | Die seltensten Krebserkrankungen (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)
⁷ Zentrum für Krebsregisterdaten, Krebs in Deutschland für 2015/2016 (zuletzt aufgerufen am 18.01.2021)